Wir heißen seit Dezember 2023
×

Die Seite www.foresight.at ist gerade im Aufbau. Diese Seite (sora.at) wird nicht mehr gewartet und im Frühjahr 2024 vom Netz genommen.

News

Von der Arbeitswelt entmutigt

Projekte

Arbeitslose Frauen in der „Stillen Reserve“

SORA hat im Auftrag der Arbeiterkammer Wien die sogenannte „Stille Reserve“ am Arbeitsmarkt genauer untersucht. Damit gemeint sind jene arbeitslosen Menschen, die zwar gerne wieder arbeiten wollen, aber in den letzten Wochen nicht aktiv nach Arbeit gesucht haben. Erhoben wird die „stille Reserve“ in der Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria, die für die vorliegende Studie neu ausgewertet wurde.

Arbeitslosigkeit in Österreich systematisch unterschätzt

2020 zählten rund 117.100, 2021 rund 84.400 und zu Beginn des Jahres 2022 rund 65.600 Menschen in Österreich zur „stillen Reserve“. 2020 machte die „stille Reserve“ ein Drittel aller arbeitslosen Menschen aus, 2021 und 2022 rund ein Viertel. Würde man die Arbeitslosen der „stillen Reserve“ in die Berechnungen aufnehmen, erhöht sich die Arbeitslosenquote im Zeitraum 2020 bis 2022 um durchschnittlich +2,4%.

Frauen in der Corona-Pandemie häufiger in der „stillen Reserve“ als Männer

In den letzten zwei Jahren waren mehr Männer als Frauen arbeitssuchend und mehr Frauen als Männer in der „stillen Reserve“. Insgesamt befanden sich im dritten Quartal 2022 71.250 Menschen in der „stillen Reserve“, 38.899 davon waren Frauen.

Mütter, Frauen mit Migrationshintergrund und Junge häufiger in der „stillen Reserve“

Die Frauen in der „stillen Reserve“ sind im Schnitt jünger als erwerbstätige Frauen und häufiger niedrigqualifiziert. Sie stammen am häufigsten aus zwei Berufsgruppen: Dienstleistungs-/Verkaufsberufe sowie Hilfsarbeiten – rund jede dritte Frau arbeitete vormals in solch einem Beruf. Im zeitlichen Verlauf verfestigt sich die „stille Reserve“ vor allem in zwei Gruppen: Der Anteil an Müttern stieg von 2020 auf 2022 von 37% auf 45%, der Anteil an Frauen mit Migrationshintergrund von 43% auf 60%.

Bisher kaum etwas über die Gründe für fehlende Arbeitssuche bekannt

Die beiden Hauptgründe für fehlende Suchaktivitäten sind entweder die Teilnahme an einer Aus- und Weiterbildung oder die Vermutung, dass es keine passenden Stellen für sie gäbe. Rund die Hälfte aller betroffenen Frauen führen einen dieser beiden Gründe an. Jede dritte Mutter sagt, die könne aufgrund von Betreuungspflichten keine neue Arbeit suchen derzeit. Inwieweit mehrere dieser Gründe zusammenfallen, lässt sich auf Basis der von der Statistik Austria erhobenen Daten genauso wenig analysieren wie weitere Motive oder Hintergründe, die einer aktiven Arbeitssuche entgegenstehen.

Gründe für den Verbleib in der „stillen Reserve“

In zwölf Einzelinterviews mit Frauen aus der „stillen Reserve“ wurde der Frage nachgegangen, weshalb diese Frauen zwar grundsätzlich gerne arbeiten würden, derzeit aber keine neue Arbeit suchen können. Ein erster Grund ist Resignation. Manche Frauen haben die Arbeitssuche entmutigt aufgegeben, weil sie nicht glauben, derzeit eine neue, adäquate Stelle finden zu können. Dass sich Frauen nicht als arbeitssuchend melden, liegt oft auch an einer antizipierten unzureichenden Unterstützung seitens des AMS. Auch frühere Schlechterbehandlungen oder Diskriminierungen in der Beratung beim AMS wurden von einzelnen Frauen fallweise berichtet.
Insgesamt stehen gesundheitliche Gründe, Betreuungsverpflichtungen oder berufliche Umorientierungsphasen einer aktiven Arbeitssuche entgegen. In vielen Fällen wird die Arbeitslosigkeit auch umgedeutet – als Auszeit, als Phase der Regeneration und Genesung oder als Phase der Kinderbetreuung oder Sorgearbeit. In allen Fällen ist eine wachsende Distanz zum Arbeitsmarkt und zur Arbeitswelt erkennbar, die nicht ohne Rückblick auf die beruflichen Vorgeschichten dieser zwölf Frauen zu verstehen ist.

„Stille Reserve“ als Schattenseite der Arbeitswelt von Frauen

Die autobiografischen Erzählungen sämtlicher Frauen sind geprägt durch Schilderungen von Abwertungen, Diskriminierungen, sexueller Gewalt, wiederholter Arbeitslosigkeit, geringer Entlohnung, harten Arbeitsbedingungen und fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten. Acht der zwölf Frauen arbeiteten zuvor in unteren Dienstleistungsjobs, in jenem Sektor, in dem die Beschäftigung in den letzten Jahrzehnten am stärksten gewachsen ist, in dem aber auch atypische bis prekäre Arbeitsverhältnisse am weitesten verbreitet sind. Möglich wurde dies durch die politisch initiierte Flexibilisierung am Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnten. Diese Arbeitsverhältnisse bieten den beschäftigten Frauen aber wenig Integration und Absicherung. Für die interviewten Frauen bedeutet dies einen Kampf auf drei Ebenen:

  • Um die Gesunderhaltung angesichts gesundheitsschädlicher Arbeitsbedingungen,
  • um eine finanzielle Absicherung angesichts zu niedriger Entlohnung
  • und um Würde und Anerkennung angesichts von Diskriminierungen und Abwertungen.

Prekarität als strukturelle Ursache für den Rückzug aus dem Arbeitsmarkt

Wenn strukturelle Ursachen hinter dem Rückzug dieser Frauen vom Arbeitsmarkt stehen, dann sind sie dort, am Arbeitsmarkt selbst, zu suchen – an den prekären Rändern, die am häufigsten von Frauen, insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund, ausgefüllt werden. Vor diesem Hintergrund war es in fast allen Fällen auch eine aktive Entscheidung gegen die Arbeitssuche und somit für den Rückzug aus einem Arbeitsmarkt, der diesen Frauen keine wünschenswerten Perspektiven mehr bietet.
Dass diese Frauen trotzdem noch einen grundsätzlichen Arbeitswunsch formulieren, also in Zukunft gerne wieder arbeiten würden, zeigt aber auch, dass sie durchaus noch für Angebote erreichbar wären. Diese Angebote sollten echte Arbeitsanreize sein, Arbeitsanreize in Gestalt von Arbeitsverhältnissen, die sozial abgesichert, materiell absichernd, gesunderhaltend und letztlich auch würdevoll sind.