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90 Jahre Staatsstreich

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Dollfuß wird kritischer gesehen aber Nichtwissen weit verbreitet. 80% sind von der Demokratie als bester Regierungsform überzeugt

Anlässlich zum 90. Jahrestag der Ausschaltung des österreichischen Parlaments hat SORA im Auftrag des ORF und gefördert von der Stadt Wien Kultur eine Studie durchgeführt und untersucht, wie es aktuell um das Demokratiebewusstsein steht.

Vier Fünftel der Menschen in Österreich sind von der Demokratie als bester Regierungsform überzeugt

Mit 80% denkt die überwiegende Mehrzahl, dass die Demokratie – trotz mancher Probleme – die beste Regierungsform ist. Vergleichsdaten aus dem Jahr 2007  zeigen, dass diese Überzeugung heute insgesamt gleich weit verbreitet ist wie vor 16 Jahren, sie war damals jedoch gefestigter: Stimmen aktuell 54% der Demokratie als bester Staatsform „voll“ zu, waren es 2007 noch 62%. Bei den möglichen alternativen Regierungsformen steht eine Expert:innenregierung an erster Stelle: Mit 47% findet sie bei knapp der Hälfte der Menschen in Österreich Zustimmung.

Etwas mehr als ein Fünftel stimmt einem „starkem Führer“ zu

Dass man einen starken Führer haben sollte, der sich nicht um Parlament und Wahlen kümmern muss, denken 22% der Menschen in Österreich. Im Vergleich mit 2007 sticht hervor, dass ein solcher „starker Führer“ heute seltener auf Ablehnung stößt: Haben ihn vor 16 Jahren noch 61% der Menschen „völlig“ abgelehnt, sind es derzeit 46%.  

Wenn sich die Menschen entscheiden müssen, gewinnt die Demokratie

Bei der Frage, ob sie unser bestehendes System gegen eine autokratische oder autoritäre Alternative eintauschen würden, fällt die Wahl der Menschen durchwegs auf die parlamentarische Demokratie: Mit Blick auf eine überparteiliche Regierung der besten Köpfe geht die Abstimmung 49% zu 36% für die parlamentarische Demokratie aus. Die Gegenüberstellung mit einer Regierung aus erfahrenen Manager:innen gewinnt die parlamentarische Demokratie 63% zu 21%. Auch die Entscheidung zwischen einer Klimaschutz-Regierung, die ohne Parlament handeln kann, und unserem bestehenden System geht mit 71% zu 17% für die parlamentarische Demokratie aus. Noch deutlicher ist das Ergebnis der Abstimmung zwischen einer Diktatur auf Zeit und dem bestehenden System: Mit 78% zu 11% gewinnt die parlamentarische Demokratie.
Wesentlich stärkere Konkurrenz erhält unser System von der anderen Seite: Nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung wird gefordert. Das Votum zwischen der parlamentarischen Demokratie und einer direkteren Demokratie nach Schweizer Vorbild gewinnt dann auch letztere mit 63% zu 26%.

Auch die Mehrzahl jener Menschen, die sich autokratische oder autoritäre Regierungssysteme vorstellen können, steht hinter demokratischen Prinzipien

Bleiben wir noch kurz bei jenen Menschen, die sich für eine der genannten autokratischen oder autoritären Alternativen zur parlamentarischen Demokratie aussprechen – wie genau stellen sie sich das vor? Was sollte eine Führungsperson oder ein Führungsgremium allein entscheiden dürfen? An dieser Stelle fällt auf, dass demokratische Prinzipien wie Wahlen, Gewaltenteilung und unabhängige Gerichte oder Medien kaum zur Diskussion stehen. Denn auch die überwiegende Mehrzahl dieser Menschen (zwischen 60% und 80%) lehnt ab, dass eine Führungsperson oder ein Führungsgremium allein über das Abhalten von Wahlen, die Kompetenzen des Parlaments, über Gesetze, Gerichtsurteile oder über mediale Berichterstattung entscheiden darf.

Fünf demokratiepolitisch relevante Einstellungsmuster

Wie gruppieren sich all diese Meinungen über unterschiedliche Regierungsformen in den Köpfen der Menschen? Welche Art von demokratischen bzw. antidemokratischen Einstellungsmustern sind wie weit verbreitet?

  • Mit rund 40% sind zufriedene Demokrat:innen am häufigsten: Sie stimmen geschlossen für die Demokratie und gegen jede Form autokratischer oder autoritärer Regierung. Ergänzend zur parlamentarischen Demokratie kommt für sie einzig und allein mehr Mitbestimmung in Frage, z.B. in Form direktdemokratischer Verfahren nach dem Vorbild der Schweiz.
  • Weitere 25% der Menschen in Österreich berichten ein Einstellungsmuster, das sie als unzufriedene Demokrat:innen ausweist. Auch sie stimmen geschlossen für die Demokratie als beste Regierungsform und lehnen autoritäre Alternativen ab. Neben mehr direkter Demokratie können sie sich aber auch eine Expert:innen-Regierung oder eine Regierung der „besten Köpfe“ nach dem Vorbild der Bundesregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein vorstellen. Ihre Unzufriedenheit bezieht sich damit nicht auf die Demokratie als System, sondern auf ihre aktuelle politische Ausgestaltung.
  • 11% sind den unzufriedenen Demokrat:innen sehr ähnlich, unterscheiden sich jedoch in einem zentralen Punkt: Entlang des Klimathemas blitzt ein autokratischer Aspekt auf. Die ausserparlamentarischen Klimaschützer:innen geben einer Klimaschutz-Regierung, die auch ohne das Parlament gegen Umweltzerstörung aktiv werden kann, den Vorzug vor der parlamentarischen Demokratie. Sie stehen zwar grundsätzlich hinter der Demokratie als bester Regierungsform. Angesichts der Dringlichkeit stellen sie ihre Kernanliegen jedoch vor das Parlament bzw. parlamentarische Entscheidungsprozedere.
  • Weitere 14% der Menschen in Österreich haben diffuse (anti-)demokratische Einstellungsmuster: Auch in dieser Gruppe sind rund drei Viertel von der Demokratie als bester Regierungsform überzeugt, gleichzeitig erhalten jedoch auch ein „starker Führer“, eine Militärregierung oder ein kommunistisches Regierungssystem mehrheitlich Zustimmung. Müssen sich diese Menschen jedoch zwischen der parlamentarischen Demokratie und anderen Regierungssystemen entscheiden, behält in jedem Fall erstere die Oberhand.
  • Bleiben 10% mit autoritären Einstellungsmustern: Bei diesen Menschen liegt die Demokratie als beste Regierungsform gleichauf mit dem „starken Führer“ und einer Militärregierung. Dass direktdemokratischen Verfahren der Vorzug gegenüber der parlamentarischen Demokratie gegeben wird, ist daher auch weniger im Sinne von mehr demokratischer Mitbestimmung zu verstehen. Vielmehr geht es darum, das Parlament mit einem „direkten Draht“ zwischen den Menschen und ihrer Führungsperson zu umgehen. Geschlossen spricht sich diese Gruppe daher auch gegen die parlamentarische Demokratie und für eine Diktatur auf Zeit aus.  

90 Jahre Staatsstreich: Die öffentliche Meinung zu Dollfuß wurde in den letzten 16 Jahren kritischer, Nichtwissen über die Ereignisse ist aber immer noch weit verbreitet

Befragen wir die Menschen zur Ausschaltung der Demokratie vor 90 Jahren und zur Person Dollfuß, sticht hervor: Rund 40% können die Ereignisse nicht einordnen und antworten durchgängig mit „weiß nicht“ – das sind ebenso viele wie im Jahr 2007. Engelbert Dollfuß wird inzwischen jedoch kritischer bewertet als noch vor sechszehn Jahren. So denken heute 30%, dass Dollfuß die Demokratie in Österreich zerstört hat, 2007 waren es 19%. Dass Dollfuß Bewunderung verdient, denken heute 13%, 2007 waren es noch doppelt so viele (25%).        

Heute sind knapp neun von zehn Menschen froh, in einer Demokratie zu leben

Nicht nur angesichts der eigenen Geschichte, auch mit Blick auf das aktuelle Weltgeschehen ist mit 87% die überwiegende Mehrzahl der Menschen in Österreich froh, in einer Demokratie zu leben. Geschlossen berichten dies die zufriedenen Demokrat:innen, die unzufriedenen Demokrat:innen und die ausserparlamentarischen Klimaschützer:innern. Es gilt jedoch auch für vier Fünftel der Menschen mit diffus (anti-)demokratischen Einstellungsmustern und für zwei Drittel der Menschen mit autoritären Einstellungsmustern.

Die größten Gefahren für die Demokratie heute: Extremistische Gruppierungen, antidemokratische Parteien und zu wenig Engagement der Bürger:innen

Aus Sicht der Bevölkerung steht die Demokratie in Österreich auch heute wieder vor zentralen Herausforderungen. Als größte Gefahren gelten dabei radikalisierte Gruppen mit dem Ziel, die Demokratie zu zerstören und Parteien, die – einmal an die Spitze gewählt – demokratische Grundprinzipien abbauen. Als ebenso groß schätzen die Menschen die Gefahr ein, dass Extremist:innen ans Ruder kommen, weil sich immer weniger Büger:innen für die Demokratie und in der Politik engagieren.  

Vier Fünftel wollen die Demokratie verteidigen, wenn sie angegriffen wird

Sollte die Demokratie tatsächlich auf die eine oder andere Weise angegriffen werden, berichten 79% der Menschen, dass sie zu ihrer Verteidigung bereit sind. Auch das gilt nicht nur für die zufriedenen Demokrat:innen, die unzufriedenen Demokrat:innen und die ausserparlamentarischen Klimaschützer:innern (jeweils rund 90%). Selbiges berichten außerdem rund 80% der Menschen mit diffus (anti-)demokratischen Einstellungsmustern und rund 70% der Menschen mit autoritären Einstellungsmustern.

Durchgeführt wurde eine repräsentative Befragung von 1.005 Menschen ab 16 Jahren mit Wohnsitz in Österreich. Die Telefon- und Online-Interviews fanden im Jänner 2023 statt. Die Ziehung der CATI-Stichprobe erfolgte per Zufall aus dem öffentlichen Telefonbuch und mittels Random-Last-Digit-Verfahren generierter Telefonnummern. Die Ziehung der CAWI-Stichprobe erfolgte aus dem offline rekrutierten Access-Panel. Die Daten wurden entlang von Geschlecht, Alter, formaler Bildung, Erwerbsstatus und Urbanisierungsgrad gewichtet. Bei der Interpretation von Unterschieden kann als Richtwert die max. Schwankungsbreite von +/- 3,1% herangezogen werden.