SORA analysierte die Nationalratswahl 2006 auf Basis einer Wahltagsbefragung unter insgesamt 1.500 Wahlberechtigten. Die wichtigsten Ergebnisse:
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Die Wahlbeteiligung ist auf einen historischen Tiefstand gesunken, alle Parteien verlieren an die NichtwählerInnen. Am meisten Stimmen verlieren ÖVP (über 200.000) und SPÖ (rund 180.000), aber auch die kleinen Parteien sind stark von der Wahlenthaltung betroffen, bei den Grünen handelt es sich um knapp 100.000 Stimmen, bei der FPÖ um etwas mehr.
Die SPÖ gewinnt den Themenwahlkampf und damit die Wahl - Arbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheit usw. sind als Themen wichtig und werden auch von den SPÖ-WählerInnen als Wahlmotive genannt.
Die Mehrheit der SPÖ bei den unselbständig Erwerbstätigen sichert Platz 1 ab. Die SPÖ ist die stärkste Partei der Arbeiter/innen und Angestellten. Die SPÖ konnte ihre Kernschichten durch die Themen Gesundheit (2-Klassen-Medizin), (Jugend-) Arbeitslosigkeit, Pensionen, Frauen und Pflegenotstand mobilisieren.
Neue Stimmen gebracht haben die Themen "Abschaffung der Studiengebühren" und "Ausstieg aus Eurofightervertrag". Wählerwanderung Die stärksten Verluste der SPÖ gehen an die NichtwählerInnen und die FPÖ, der größte Stimmengewinn kommt von der ÖVP.
Die ÖVP kann den Kanzlerbonus nicht mitnehmen und verliert die Wahl. Unzufriedenheit mit dem Bundeskanzler ist eine der drei Hauptursachen der Niederlage.
Es gelingt zwar eine Kernschichtmobilisierung durch die Themen Wirtschaft und ausgeglichenes Budget, große Verluste bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kosten die ÖVP aber den ersten Platz.
Es können drei Hauptursachen für die Verluste identifiziert werden: eine Unzufriedenheit mit Dr. Wolfgang Schüssel, eine Ablehnung einer möglichen Schwarz-Grünen Koalition sowie eine Unterstützung von Forderungen der Opposition (Ausstieg aus dem Eurofighter Vertrag, Abschaffung der Studiengebühren).
Die ÖVP verliert an alle anderen Parteien stark und holt sich im Gegenzug nur sehr wenig Stimmen zurück.
Zentrale Antriebsfeder der FPÖ-WählerInnen war die Ausländerpolitik, damit in Zusammenhang steht eine skeptische Haltung zum EU-Beitritt der Türkei. Die FPÖ ging nach der Parteispaltung deshalb als stärkere Kraft aus dem Wahlgang hervor, da sie über eine intakte Parteiorganisation in den Bundesländern und Netzwerke zu rechten Gruppierungen verfügt. Die FPÖ hat Zuströme von den Großparteien und macht dadurch die Abspaltung des BZÖ und die Verluste an NichtwählerInnen weitgehend wett.
Die Grünen gewinnen ihre Stimmen vor allem in der jungen Bildungsschicht und in den Ballungsräumen und punkten mit ihrem Kernthema Ökologie. Die GrünwählerInnen gaben ihre Stimme auch gegen eine schärfere Ausländer- und Justizpolitik ab. Der größte Verlust der Grünen geht an die NichtwählerInnen, was aber durch Gewinne von der ÖVP wieder wettgemacht wird.
Das BZÖ ist in Kärnten besonders stark, dies ist in der Person Jörg Haider begründet. Jörg Haider wird von den WählerInnen als Wahlmotiv dreimal so häufig genannt wie Spitzenkandidat Peter Westenthaler.
Auch beim BZÖ ist das Ausländerthema zentral, wenn auch nicht so wichtig wie bei der FPÖ. Das BZÖ bekommt rund ein Drittel seiner Stimmen von der FPÖ, ein weiteres von der ÖVP.
Die Themen von Hans Peter Martin haben im Gegensatz zum EU-Wahlkampf keine wesentliche Rolle gespielt. Zudem ist der Systemprotest bei Nationalratswahlen geringer. HPM bekommt Stimmen von allen anderen Parteien, am wenigsten allerdings von den Grünen.
Die KPÖ hat ihr stärkstes Ergebnis in der Steiermark, das aber deutlich unter jenem der Landtags- und Gemeinderatswahlen liegt.
Die wichtigsten Herausforderungen für die Politik sind für die ÖsterreicherInnen Bildung, Arbeitsplätze und Pensionen, mit etwas Abstand folgen Gleichstellung von Frauen, Umweltschutz und eine Steuerreform zur Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen. Diese Themenpräferenzen zeigen, dass die SPÖ und auch die Grünen hier richtig gelegen sind. Mit der Wichtigkeit des Bildungsthemas stehen folgende Wählerbewegungen im Zusammenhang - die Stärke der Grünen in der jungen Bildungsschicht und die Verluste der ÖVP bei den Bildungsabsteigern - Richtung FPÖ.
Die BAWAG hat vor allem die Ausgangsposition für den Wahlkampf beeinflusst. Die ÖVP startete in der Favoritenrolle in den Wahlkampf, die SPÖ als Herausforderin. Am Ende des Wahlkampfes war die Bawag aber kein zentrales Wahlmotiv mehr.
Die Grünen sind "Verlierer" der Koalitionsspekulationen. Die Variante "Rot-Grün" mobilisiert SPÖ-WählerInnen, "Schwarz-Grün" die ÖVP-WählerInnen stärker als die Grün-WählerInnen. Die Verhinderung des "Linksrucks" war im Gegensatz zur Nationalratswahl 2002 kein nennenswertes Wahlmotiv.
Die Basis dieser Analyse ist eine Wahltagsbefragung unter insgesamt 1.500 Wahlberechtigten von SORA in Kooperation mit Ifes.
Die SPÖ gibt Stimmen an die NichtwählerInnen ab, allerdings in geringerem Ausmaß (143.000) als die ÖVP. Sie verliert 119.000 Stimmen an die FPÖ und kann im Gegenzug 42.000 ehemalige FPÖ-WählerInnen mobilisieren. Die Verluste an die FPÖ werden durch Zugewinne von der ÖVP ausgeglichen. Im Saldo hat die SPÖ weniger an die FPÖ verloren als die ÖVP. Die Sozialdemokraten haben bei dieser Wahl mit 80% die höchste Behalterate.
Die ÖVP verliert 172.000 Stimmen an die NichtwählerInnen. Je etwa 100.000 WählerInnen wandern zu SPÖ, FPÖ und Grünen. Auch das BZÖ hat ziemlich viele Stimmen (60.000) von der ÖVP erhalten. Umgekehrt gewinnt die ÖVP kaum Stimmen dazu. Die Behalterate der ÖVP liegt bei 72%, etwa sieben von zehn ÖVP-WählerInnen aus dem Jahr 2002 haben wieder ÖVP gewählt.
Die Grünen profitieren von einem starken Zustrom von ehemaligen ÖVP-WählerInnen. Jede/r fünfte GrünwählerIn des Jahres 2006 kommt von der Kanzlerpartei. Diese Gewinne werden durch Verluste an die NichtwählerInnen gemindert, 15% der Grün-WählerInnen von 2002 enthalten sich 2006 der Stimme. Die Behalterate der Grünen liegt bei 69%.
Etwa ein Fünftel der FPÖ-WählerInnen von 2002 ging dieses Mal nicht zur Wahl. Weitere 75.000 wanderten zum BZÖ ab. Die Behalterate der FPÖ liegt bei nur 49%, das heißt, dass jede/r zweite WählerIn der letzten Nationalratswahl zu einer anderen Partei gewechselt hat oder nicht mehr wählen ging. Gewonnen hat die FPÖ vor allem von den Großparteien ÖVP und SPÖ.
Das BZÖ bekommt rund ein Drittel seiner WählerInnen von der ÖVP, ein weiteres gutes Drittel kommt von der FPÖ.
Die Liste Hans Peter Martin zieht nicht in den Nationalrat ein. Ihre WählerInnen kommen hauptsächlich von der ÖVP, der SPÖ, den Sonstigen und der FPÖ.
Die Sonstigen setzen sich zusammen aus der KPÖ, die bundesweit antrat, sowie nur in einzelnen Bundesländern antretenden Parteien. Keine der in den Sonstigen enthaltenen Parteien wird in den Nationalrat einziehen.
| SPÖ '06 | ÖVP '06 | Grüne '06 | FPÖ '06 | BZÖ '06 | Martin '06 | Sonstige '06 | Nichtw. '06 | Summe '02 |
SPÖ '02 | 1472 | 24 | 26 | 119 | 25 | 30 | 11 | 143 | 1851 |
ÖVP '02 | 96 | 1545 | 112 | 102 | 60 | 45 | 14 | 172 | 2147 |
Grüne '02 | 19 | 15 | 338 | 15 | 10 | 10 | 8 | 72 | 487 |
FPÖ '02 | 42 | 10 | 18 | 248 | 75 | 19 | 3 | 93 | 508 |
Sonstige '02 | 15 | 1 | 12 | 10 | 5 | 19 | 18 | 12 | 93 |
Nichtw. '02 | 20 | 19 | 14 | 26 | 18 | 10 | 7 | 908 | 1022 |
Summe '06 | 1664 | 1616 | 520 | 520 | 194 | 132 | 62 | 1399 |
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Beispiel: Von den ÖVP-WählerInnen 2002 haben 1.545.000 wieder die ÖVP gewählt, 96.000 die SPÖ, 102.000 haben die FPÖ gewählt, etc.
| SPÖ '06 | ÖVP '06 | Grüne '06 | FPÖ '06 | BZÖ '06 | Martin '06 | Sonstige '06 | Nichtw. '06 | Summe '02 |
SPÖ '02 | 80% | 1% | 1% | 6% | 1% | 2% | 1% | 8% | 100% |
ÖVP '02 | 4% | 72% | 5% | 5% | 3% | 2% | 1% | 8% | 100% |
Grüne '02 | 4% | 3% | 69% | 3% | 2% | 2% | 2% | 15% | 100% |
FPÖ '02 | 8% | 2% | 3% | 49% | 15% | 4% | 1% | 18% | 100% |
Sonstige '02 | 16% | 2% | 13% | 11% | 6% | 21% | 19% | 13% | 100% |
Nichtw. '02 | 2% | 2% | 1% | 3% | 2% | 1% | 1% | 89% | 100% |
Beispiel: Von den ÖVP-WählerInnen 2002 haben 72% wieder die ÖVP gewählt, 4% die SPÖ, 5% haben die FPÖ gewählt, etc.