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Was wissen wir über Arbeitslosigkeit

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Ein Forschungsbericht von Christoph Hofinger und Daniel Schönherr (SORA)

  • gekürzte Fassung von: Christoph Hofinger / Daniel Schönherr: Was wissen wir über Arbeitslosigkeit? In: Falter 18/2014. (PDF)

In vielen Köpfen dominiert das Bild des faulen Arbeitslosen, der abgesichert durch überhöhte oder gar erschwindelte Sozialleistungen die Freizeit genießt. Tatsächlich gilt in Österreich fast jeder zweite Arbeitslose als armutsgefährdet, das Armutsrisiko Arbeitsloser liegt hierzulande auf dem Niveau von beispielsweise Griechenland, Italien oder Spanien.

Was heißt also Arbeitslosigkeit für die Betroffenen und ihr Umfeld heute? In einer soeben veröffentlichten Studie sind wir gemeinsam mit unserem Kollegen Georg Michenthaler vom Ifes im Auftrag der Arbeiterkammer Wien dieser Frage nachgegangen – mit einer Umfrage unter 500 Wienern, die im Jahr vor der Befragung zumindest phasenweise arbeitslos waren. Ihre Antworten zertrümmern einige Mythen.

MYTHOS 1: Arbeitslosigkeit betrifft nur Randgruppen.

Wer wird arbeitslos? Ältere Erwerbstätige, atypisch Beschäftigte oder gering Qualifizierte trifft es, nicht überraschend, überdurchschnittlich oft. Kann sich daher ein Mann mittleren Alters ohne Migrationshintergrund mit Studienabschluss, der eine leitende Vollzeitstelle in einem größeren Betrieb ausfüllt, sicher fühlen? Nein: Für jeden fünft en arbeitslosen Befragten unserer Studie kam die Arbeitslosigkeit völlig überraschend, betroffen waren davon häufig auch höher qualifizierte Personen in höheren und leitenden Positionen. Für mehr als 40 Prozent der Befragten war es überhaupt das erste Mal, dass sie arbeitslos waren.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat berechnet, wie viele jener Bürger, die im Jahr 2000 beschäftigt waren, in den zehn Jahren darauf arbeitslos waren: Vier von zehn hat es zumindest einmal getroffen. Angesichts steigender Arbeitslosenzahlen ist die Annahme plausibel, dass rund jeder Zweite, der heute Arbeit hat, in den kommenden zehn Jahren zumindest einmal arbeitslos sein wird.

MYTHOS 2: Arbeitslosigkeit ist selbst verschuldet.

Nur einer von zehn Befragten unserer Studie gab an, selbst gekündigt zu haben. In den restlichen Fällen lief entweder eine Befristung aus, einigte man sich auf eine einvernehmliche Kündigung oder aber der Arbeitgeber sprach eine einseitige Kündigung aus (was vor allem älteren Befragten häufiger widerfuhr).

Der Weg in die Arbeitslosigkeit ist also keineswegs selbst gewählt, im Gegenteil: Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten halten viele Beschäftigte auch bei widrigsten Bedingungen an ihrem Job fest. Laut Arbeitsklima-Index wollten vor dem Jahr 2008 noch fast 60 Prozent aller mit ihrem Job Unzufriedenen den Job wechseln. Seit der Krise sind es um ein Drittel weniger, die sich zutrauen würden, aus einer schlechten Stelle in eine neue, bessere zu wechseln. Die Österreicher spüren, dass Phasen der Arbeitslosigkeit nicht nur finanziell schwer bewältigbar sind, sondern der Weg zurück in reguläre und passende Beschäftigung immer steiniger wird.

MYTHOS 3: Arbeitslose machen es sich in der sozialen Hängematte gemütlich.

Dass es sich vor allem Langzeitarbeitslose bequem eingerichtet haben, ist einer der hartnäckigsten Mythen. Diesen kann man aufgrund der Daten gleich doppelt widerlegen: Einerseits bedeutet für die Befragten Arbeitslosigkeit in der Regel sowohl finanzielle als auch seelische Belastung, andererseits lassen die Herausforderungen, mit denen Arbeitslose im täglichen Leben zu tun haben, kein Bild von Bequemlichkeit entstehen.

Da wären zum einen die finanziellen Einbußen: Im Schnitt haben die Befragten in der erwerbslosen Zeit als Arbeitslose knapp über 800 Euro netto monatlich ausgezahlt bekommen, als Teil der stark wachsenden Gruppe der Notstandshilfebezieher rund 670 Euro.

Die Angabe der durchschnittlichen Höhe überdeckt allerdings wesentliche Unterschiede in der Höhe der Bezüge: Besonders niedrig lag das Einkommen bei Frauen, jüngeren Arbeitslosen, niedrig Qualifizierten, Arbeitern, Migranten und atypisch Beschäftigten.

Dass neben den Leistungen des AMS auch eine Fülle an weiteren Sozialleistungen „abkassiert“ werden, ist Unsinn: Neben der Familienbeihilfe war die am häufigsten genannte Sozialleistung die Gebührenbefreiung beim ORF – und zwar bei gerade einmal 13 Prozent der Befragten. Viel häufiger werden die eigenen Ersparnisse aufgebraucht, nämlich von jedem zweiten – sofern Rücklagen überhaupt vorhanden waren.

Arbeitslose, die schon vor der Arbeitslosigkeit mit ihrem Lohn nicht oder nur knapp über die Runden gekommen sind –  und das ist immerhin mehr als die Hälfte –, schaffen es in der Arbeitslosigkeit in der Regel nicht mehr, mit den Leistungen auszukommen. Praktisch alle Betroffenen mussten im Alltag und im Haushalt einsparen, etwa bei Kleidung oder Lebensmitteln, aber auch bei sozialen Aktivitäten (Hobbys, Ausgehen oder Urlaubsreisen). Hat sich das Sparpotenzial erschöpft, geht es ans Existenzielle: Jeder sechste hat auch bei der eigenen Gesundheit gespart, genauso viele bei der Bildung.

Arbeitslosigkeit hat also massive Auswirkungen auf das Umfeld der Betroffenen. So konnte jeder zehnte Arbeitslose mit Kindern diesen keine Schulaktivitäten und auch keine Nachhilfe mehr zahlen, Schulwechsel und Ausbildungsabbrüche waren die Folge. Von negativen Auswirkungen auf die Partnerschaft berichtet jeder vierte Arbeitslose, auf die sozialen Kontakte etwa im Freundeskreis jeder dritte, auf die Freizeit und das Leben allgemein jeder zweite.

  • Mehr: Den gesamten Forschungsbericht zum Download (PDF) finden Sie hier