Nationalratswahl 2002

Österreich erlebte einen historischen Wahltag. Noch nie hat es in der 2. Republik derart starke Veränderungen im Wahlergebnis gegeben.
Die ÖVP gewinnt 15,36 Prozentpunkte, die FPÖ verliert 16,75 Prozentpunkte. Es kommt zu einer drastischen Neuordnung der Kräfteverhältnisse im so genannten bürgerlichen Lager. Die ÖVP wird stimmenstärkste Partei, die SPÖ fällt erstmals seit 1966 auf Platz 2 zurück, der Stimmenanteil der FPÖ hat sich mehr als halbiert. Die Grünen bleiben viertstärkste Partei, allerdings mit nur einem Prozentpunkt Abstand zu den Freiheitlichen.

SPÖ und ÖVP verfügen nunmehr zusammen über 148 Abgeordnete im Nationalrat, um 26 mehr als die Verfassungsmehrheit von 122 Mandaten.

Der Vorsprung von Schwarz-Blau auf Rot-Grün hat sich von 13,2 auf 6,6 % genau halbiert.

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Die Ergebnisse der Nationalratswahl im Detail

Die Gründe für den ÖVP-Wahlsieg und die Niederlage der FPÖ

Obwohl sich im Wahlkampf zunächst ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ÖVP und SPÖ abgezeichnet hat, konnte die ÖVP mit ihrem Kanzlerwahlkampf die Wahl letztlich für sich entscheiden. Ihre Zugewinne kommen vor allem von ehemaligen FPÖ-WählerInnen. Aber auch von SPÖ und Grünen konnte die ÖVP etwas mehr Stimmen gewinnen als sie im Gegenzug verloren hat. Schließlich hat die Mobilisierung von 122.000 NichtwählerInnen von 1999 der ÖVP substantielle Zuwächse gebracht.

Der ÖVP gelang es, die im September ausgebrochene Führungskrise der FPÖ strategisch zu nutzen: Die FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer und Karl-Heinz Grasser wurden gelobt. Gleichzeitig konnte die ÖVP im Wahlkampf Distanz zu Jörg Haider und den "Knittelfelder Rebellen" zeigen. Inhaltlich gelang es der ÖVP, sich mit FPÖ-Themen wie Asylpolitik und der Warnung vor Rot-Grün zu positionieren.

Die ÖVP nützte die Führungskrisen der FPÖ geschickt aus. Nach der ersten Führungskrise in der FPÖ (Knittelfeld, Rücktritt von Riess-Passer, Grasser und Westenthaler) verkündete sie Neuwahlen und konnte viele Freiheitliche für sich gewinnen. Nach der zweiten Führungskrise (Erkrankung von Reichhold, Übernahme der Parteiführung von Haupt und Haiders neuerliche Irak-Reise) präsentierte die ÖVP Karl-Heinz Grasser als potentielles Regierungsmitglied der ÖVP und verstärkte so den Wählerschwund von der FPÖ zur ÖVP in der Schlussphase des Wahlkampfes.

Für die Abwanderer von der FPÖ zur ÖVP waren folgenden Punkte entscheidend:

  • Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit von Schwarz-Blau, vor allem mit der Wirtschaftspolitik und dem Nulldefizit
  • Einschätzung der FPÖ als "nicht regierungsfähig", die Abwendung von Jörg Haider und die Entscheidung, "diesmal Schüssel" zu wählen
  • Ablehnung von SPÖ bzw. Rot-Grün

Zugewinne der SPÖ

Die SPÖ ist nur noch zweitstärkste Partei in Österreich, obwohl sie fast 200.000 Stimmen gewinnen konnte. Die SPÖ gewinnt vor allem mit drei Themen: Sozialpolitik, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Verhinderung einer schwarz-blauen Bundesregierung.

Alfred Gusenbauer wurde zunehmend als guter Kandidat für das Kanzleramt (45% in der Wahltagsbefragung) wahrgenommen. Die Imagesteigerungen Alfred Gusenbauers reichten aber nicht aus, um Wolfgang Schüssel zu überholen, der im Intensivwahlkampf ebenfalls stark zulegen konnte. Die SPÖ hat mit der Präsentation der beiden Kandidaten Wolfgang Petritsch und Josef Broukal zwei Effekte gleichzeitig erzielt - Stimmen mobilisiert und das Image des Kanzlerkandidaten verbessert.

In der Schlussphase hat die SPÖ vor allem durch die Performance des Spitzenkandidaten in den TV-Konfrontationen zugelegt.

Die FPÖ ist eine Partei der SeniorInnen

War die FPÖ bei den Nationalratswahlen 1999 bei den unter 30-Jährigen die stärkste Partei, ist sie bei den Jungen jetzt nur noch viertstärkste. Bei dieser Wahl sind der FPÖ vor allem die unter 60-Jährigen abhanden gekommen. Jetzt sind 44% aller FPÖ-WählerInnen über 60 Jahre.

Die Grünen sind in der jungen Bildungsschicht besonders stark

Bei den WählerInnen unter 35 mit Matura haben die Grünen 27% der gültigen Stimmen erreicht. In dieser Gruppe kommt den Grünen der strukturelle Wandel zugute, weil es sich hier um eine wachsende Gruppe handelt.

Hauptmotive für die Grün-WählerInnen sind ökologische Themen, Menschenrechtsthemen und die Popularität von Alexander Van der Bellen. Zugewinne erzielten die Grünen bei RegierungsgegnerInnen und FPÖ-KritikerInnen. Viele neue Grün-WählerInnen wollten, dass die Grünen den dritten Platz erzielen und in die Regierung einziehen. Von der Auflösung des Liberalen Forums haben die Grünen am meisten profitiert.

SPÖ und Grüne gewinnen vor allem im urbanen Raum

Die Grünen bleiben in ländlichen Gemeinden in Summe praktisch unverändert, die SPÖ legt in diesen Gemeinden nur geringfügig zu. Beide Parteien erzielten jedoch größere Gewinne im urbanen Raum.

Schlussphase des Wahlkampfes

In der Schlussphase des Wahlkampfes hat die Negativ-Kampagne der ÖVP gegen eine mögliche rot-grüne Koalition gewirkt und sowohl ÖVP als auch FPÖ gestärkt. Nach der Wahl in Deutschland war eine rot-grüne Koalition immer beliebter als eine schwarz-blaue Koalition. Zwei Wochen vor der Wahl war dieser Vorsprung auf 8% angewachsen, aber in den letzten beiden Wochen vor der Wahl ist die Präferenz für Rot-Grün um 8% gesunken.

Wählerströme

Die ÖVP konnte mit einem Plus von 15,4 Prozentpunkten Platz 1 erringen. Dem stehen immense Verluste der FPÖ entgegen, die 16,9 Prozentpunkte verlor und knapp vor den Grünen auf Platz 3 landete.

Die SPÖ konnte ihr Wahlergebnis von 1999 um 3,3 Prozentpunkte verbessern, die Grünen legten um 2,1 Prozentpunkte zu.

Die größte, alles dominierende Bewegung war bei dieser Nationalratswahl die Abwanderung von 633.000 FPÖ-WählerInnen zur ÖVP. Die zweitgrößte Wanderung ist die Abwanderung der FPÖ zur SPÖ (148.000 Stimmen), in die Gegenrichtung sind nur 14.000 Stimmen gewandert.

Die starke Mobilisierung von NichtwählerInnen ist das zweitwichtigste Phänomen dieser Wahl. Dies liegt an der Dramatisierung des Lagerwahlkampfes in der Endphase kurz vor der Wahl. 129.000 NichtwählerInnen von 1999 sind zur ÖVP, 123.000 zur SPÖ und 88.000 zu den Grünen gewandert, 76.000 NichtwählerInnen haben diesmal FPÖ gewählt.

Die Grünen haben an die ÖVP mehr verloren (40.000 Stimmen) als sie von dieser gewonnen haben (14.000). Der Austausch mit der SPÖ ist relativ ausgeglichen: 24.000 Stimmen wanderten von der SPÖ zu den Grünen, 27.000 von den Grünen zur SPÖ.

Die WählerInnen des Liberalen Forums sind hauptsächlich zu ÖVP (50.000) und den Grünen (61.000) gewandert.

Die Wanderungen zwischen den Lagern sind im Vergleich zur Verschiebung im bürgerlichen Lager relativ gering. 234.000 Wählerinnen und Wähler sind von rechts nach links gewandert, im Gegenzug sind 124.000 von links nach rechts gewandert - im Saldo ein Plus von 110.000 Stimmen für die beiden linken Parteien.

Tabelle 1: Wählerwanderungen bei der Nationalratswahl 2002, absolut in 1000 Stimmen

SPÖ '02

FPÖ '02

ÖVP '02

Grüne '02

LIF '02

Sonst. '02

Nichtw. '02

Summe '99

SPÖ '99

1441

14

24

24

5

5

16

1529

FPÖ '99

148

366

633

21

7

4

70

1247

ÖVP '99

12

12

1189

14

4

2

11

1244

Grüne '99

27

10

40

246

4

2

14

341

LIF '99

19

7

50

61

13

1

12

161

Sonst. '99

23

7

14

11

5

17

15

92

Nichtw. '99

123

76

129

88

10

6

866

1297

Summe '02

1792

491

2077

465

48

36

1003

Beispiel: Von den SPÖ-WählerInnen 1999 haben 1.441.000 wieder SPÖ gewählt, 14.000 die FPÖ, 24.000 haben die ÖVP gewählt, etc.

 

Tabelle 2: Wählerwanderungen bei der Nationalratswahl 2002, in Prozent

 

SPÖ '02

FPÖ '02

ÖVP '02

Grüne '02

LIF '02

Sonst. '02

Nichtw. '02

Summe '99

SPÖ '99

94%

1%

2%

2%

0%

0%

1%

100%

FPÖ '99

12%

29%

51%

2%

1%

0%

6%

100%

ÖVP '99

1%

1%

96%

1%

0%

0%

1%

100%

Grüne '99

8%

3%

12%

72%

1%

1%

4%

100%

LIF '99

11%

4%

31%

38%

8%

1%

8%

100%

Sonst. '99

25%

8%

15%

12%

6%

18%

16%

100%

Nichtw. '99

10%

6%

10%

7%

1%

0%

67%

100%

Beispiel: Von den SPÖ-WählerInnen 1999 haben 94% wieder die SPÖ gewählt, 1% die FPÖ, 2% die ÖVP, etc.